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Reiseberichte und Tipps


Von Kyiv nach Chișinău im Nachtzug der ukrainischen Bahn

Nach rund 20 Jahren Pause wurde die direkte Zugverbindung zwischen Kyiv und Chișinău wieder eingeführt. Ich durfte auf meiner ersten Reise in die Ukraine mit ihm reisen und teile hier meine Impressionen.

Zuerst ein kurzer Abstecher nach Vinnytsia

Wir steigen erst in Vinnytsia statt in Kyiv in unseren Nachtzug. Denn in Vinnytsia gibt es etwas für mich Besonderes zu erleben: Ehemalige Zürcher Trams, die von der Schweiz an die Ukraine vererbt wurden, sind hier im Einsatz. Es verkehren sowohl „Mirage“- als auch „Tram2000“-Wagen, alle in gutem Zustand. Einige haben im Innern sogar noch Schweizer Piktogramme und Schriftzüge. Ein Stück Schweizer Transportgeschichte in der Ukraine.

Der Billettkauf für die Tram ist ganz einfach gelöst: An jeder Tür befindet sich ein kleiner Touchscreen, auf dem man mit der Kreditkarte das Ticket direkt lösen kann. Eine Fahrt kostet umgerechnet etwa 10 Rappen, was für uns äusserst günstig ist. Es macht Spass, wieder einmal in diesen alten Zürcher Fahrzeugen unterwegs zu sein.

Anders als in Zürich dürfen hier zu Feiertagen noch kleine Flaggen auf den Trams montiert werden.

Der Bahnhof von Vinnytsia ist überschaubar: vier Gleise und etwa ein dutzend Züge Richtung Kyiv pro Tag. Wie wir es aus der Ukraine kennen, ist alles sauber und zweckmässig eingerichtet. Für Tagesausflüge hat der Bahnhof moderne Schliessfächer. Eine freundliche Mitarbeiterin erklärt uns sogar deren Funktionsweise.

Punkt 19:58 Uhr trifft unser Nachtzug nach Chișinău ein, um genau 20:00 Uhr rollt er weiter. In der Ukraine sind Verspätungen eine Seltenheit, selbst in Kriegszeiten. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind stolz auf die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn, ich bin beeindruckt.

Ein „Coupe“-Abteil mit Schlafwagenkomfort

Wir haben ein „Coupe“-Abteil, ein 4er-Abteil, das eher einem Schlafwagen als einem einfachen Liegewagen entspricht. Wir nutzen die beiden unteren Liegen, darüber liegen ein älterer Herr und eine junge Frau. Sie grüssen uns freundlich, doch viel gesprochen wird nicht, es ist eine ruhige Fahrt.

Die Ausstattung des Abteils ist top: Jede Liege hat eine eigene Leselampe und eine Steckdose. Die Matratzen sind dick, Decken und Kissen sehr bequem – weit besser, als ich es von manchen mitteleuropäischen Nachtzügen kenne. Trotz fehlender Klimaanlage bleibt die Temperatur angenehm, die Schallisolierung ist gut, und es wird auch richtig dunkel, wenn man den Sonnenschutz runterzieht. Kein Schnickschnack wie Touchpanels, die piepsen (Nightjet), sondern einfach ein komfortables, durchdachtes Konzept. Wir sind positiv überrascht.

Tee bestellen

Wie es sich in einem ukrainischen Zug gehört, möchte ich Tee bestellen. Ich versuche, meine paar gelernten ukrainischen Worte anzubringen. Die Zugbegleiterin versteht mich aber erst, nachdem ich auf die gewünschte Sorte zeige, und nickt freundlich. Ich hoffe, ich habe die ukrainische Sprache nicht zu sehr verhunzt.  Der Tee kommt natürlich in einem «Podstakannik» ein schön verzierter Glashalter mit verschiedenen Motiven.

Lokwechsel, Himbeeren und Grenzkontrollen

Nächster Halt «Zhmerynka» der Zug hält für rund 25 Minuten. Die Elektrolok wird durch eine Diesellok getauscht, gleichzeitig ändert der Zug die Fahrtrichtung. Es ist bereits dunkel, doch am Bahnsteig ist immer noch viel los, es werden frische Himbeeren und weitere Lebensmittel verkauft. Sie sehen köstlich aus, kaufen tue ich sie nicht. Schon kurz nach der Weiterfahrt bereue ich es, sie sahen wirklich fein aus. Egal es ist Zeit zu schlafen, das Licht wird im Konsens mit den anderen gelöscht.

Kurz vor Mitternacht klopfen ukrainische Grenzbeamte an unsere Abteiltür. Sie prüfen unsere Pässe und fragen, ob wir Schweizer sind. Wir bestätigen schlaftrunken. Wir scheinen fast die einzigen jungen Männer auf diesem Zug zu sein. Ukrainische Männer im wehrfähigen Alter dürfen das Land kaum verlassen, daher sind die meisten Passagiere Frauen, Kinder oder Ältere. Nach der raschen Kontrolle dürfen wir weiterschlafen. Gegen 1 Uhr nachts wiederholt sich das Prozedere an der moldawischen Grenze. Diesmal werden die Pässe gestempelt und nach etwa 20 Minuten zurückgebracht. Aussteigen oder gross aufstehen müssen wir nicht.

Unsere beiden Mitreisenden sind in der Nacht offenbar ausgestiegen, vermutlich in Ocnița oder sogar noch vor der Grenze. Dass wir dies gar nicht richtig mitbekommen haben, spricht für die Ruhe im Abteil und die gute Schlafqualität.

Gute Morgen Moldawien

Am Morgen ist die Landschaft draussen eine andere. Die Ukraine haben wir grösstenteils im Dunkeln erlebt, in Moldawien sehen wir trockene weite Felder und einfachere Strukturen. Manchmal sehen wir einzelne Kühe oder Pferde die an Seilen angebunden sind. Die Fahrt ist gemächlicher als noch in der Ukraine, die Infrastruktur der moldawischen Eisenbahn ist sichtlich veraltet.

Jetzt sind wir auf der Strecke von Vălcineț nach Ungheni, wo laut Fahrplan nur noch dieser internationale Zug fährt, es gibt hier keinen nationalen Verkehr mehr.

Letzter Halt vor Chișinău

Gegen 8 Uhr morgens erreichen wir Ungheni. Wieder wird die Fahrtrichtung gewechselt und rangiert. Wir haben rund 30 Minuten Aufenthalt, Zeit genug, um den Bahnsteig zu erkunden. Das Gleisfeld ist überwuchert, alte Drehgestelle sind gestapelt. Man sieht, dass hier schon lange nicht mehr viel investiert wurde. Wir, und auch andere Reisende, nutzen die Gelegenheit, etwas frische Luft zu schnappen. Nach vielen Stunden im Zug tut das gut, denn von Kyiv bis Chișinău sind es rund 18 Stunden und 30 Minuten Fahrzeit. Wer wie wir erst in Vinnytsia dazustösst, ist immerhin noch etwa 16 Stunden und 30 Minuten unterwegs.

Toiletten im Zug

Die Toiletten im Zug verdienen einen eigenen, kleinen Abschnitt. In der Ukraine wird noch das offene Toilettensystem verwendet, alles landet direkt auf den Schienen. Deshalb ist das Nutzen der Toiletten in der Nähe von Bahnhöfen und Gleisfeldern untersagt. Ein minutengenauer Fahrplan zeigt an, wann die Toiletten wieder benutzt werden dürfen. Dieses System funktioniert wohl nur, weil die Züge so pünktlich sind. Wasser, Seife und Toilettenpapier sind jederzeit vorhanden, und die Sauberkeit ist tadellos. In vielen mitteleuropäischen Nachtzügen könnte man sich daran ein Beispiel nehmen.

Ankunft in Chișinău

Nach weiteren gemächlichen Stunden nähern wir uns Chișinău. Wir gönnen uns noch einen letzten Tee. Schliesslich erreichen wir Chișinău mit etwa 20 Minuten Verspätung, was angesichts der langen Reise und der schwierigen Umstände völlig in Ordnung ist. Der Bahnhof in Chișinău ist schön restauriert, es gibt Sitzmöglichkeiten und einen kleinen Laden. Er hätte wohl noch ein paar zusätzliche Züge verdient.

Billette, Buchung und Tipps

Ein Billett für die „Coupe“-Klasse kostet etwa 40 Euro pro Person. Wer mehr Privatsphäre wünscht, kann „Deluxe“-Abteile buchen, wer günstiger reisen möchte, nimmt einen offenen Liegewagen („Berth“). Da diese Strecke oft gut ausgelastet ist, lohnt es sich, im Voraus online zu buchen. Ich empfehle ein Abteil in der Wagenmitte, da dort die Fahrt etwas ruhiger ist (weiter vom Drehgestell entfernt). Ausserdem sind die unteren Liegen bequemer, da man nicht klettern muss und den Tisch zur Verfügung hat. Gebucht wird über die ukrainische Eisenbahn.